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PRESSE

Ronald Berg

PFLANZEN AUF FREMDEN PLANETEN

Eine Ausstellung des Kunstvereins Rastatt e.V.mit der Stadt Rastatt

Wir sind es gewohnt, Formen mit Bedeutungen zu assoziieren. Der Augensinn beurteilt Formen nach dem,was er kennt.DemGehirn gelingt es sogar, aus der Vielzahl der uns umgebenen Formen Gestalten zu isolieren, und wir haben im Alltag wenig Mühe aus einer Vielzahl von Elementen eine geschlossene Form zu identifizieren. Matthäus Thomas Skulpturen bestehen aus einer Vielzahl von Teilen. Es sind hölzerne Latten, die zusammengeschraubt in der Summe eine Gestalt ergeben. Zwar handelt es sich mehr um Strukturen ohne geschlossene Oberfläche,doch kann unser Gestaltsehen die plastischen Gebilde zur Großform runden. Volumen und Kontur wirken in dieser Hinsicht als Anhaltspunkte. Auch die Bedeutung der Formen bei Matthäus Thoma stellt sich zwanglos ein. Manches erinnert an bekannte Dinge wie: Vogelnest, Kuppelbau, Achterbahn, Raumschiff und vieles andere mehr.

Für den Marstall von Schloß Rastatt hat Matthäus Thoma Formen gebaut, die an Bootsrümpfe, Schaufeln oder Spitzbogenarchitekturen erinnern.Thoma nennt seine Arbeit Pflanzen auf fremden Planeten , aber das ist wie der Künstler selbst sagt nur ein möglicher Titel.Wichtig war es, die Bedeutung seiner Arbeit für Rastatt möglichst nicht genau festzulegen. Denn wer weiß schon, wie Pflanzen auf fremden Planeten aussehen? Andere Titel wären ebenso denkbar gewesen, schließlich kam der Titel der Arbeit erst nachdemdie Formen ihr Eigenleben bereits angetreten hatten. Die Formen entwickeln sich bei Thoma während des Arbeitens. Deshalb auch die Wahl für Holz als Material. Mit Eisenträgern etwa könnte man nicht so spontan agieren. Holzlatten aber lassen sich schnell und ohne größere Probleme zusägen und zusammenschrauben. Die Holzteile können unter der Hand wachsen wie die Pflanzen, die ihre Stengel und Äste aus sich herausschieben. Größere Formen werden von Thoma zuerst im verkleinerten Modell entwickelt. So geschah es auch in der Arbeit für den Marstall,wobei die Strukturen des Modells bei der endgültigen Arbeit durchaus nicht völlig identisch kopiert wurden.

Schon das Material eine Ladung Kanthölzer aus dem Sägewerk erzwang eine gewisse Neuinterpretation der Komposition, wie sie mit den kleinen Holzstäbchen im Modell gefunden wurde.Was die fertige Installation vor Ort vom Modell allerdings völlig unterscheidet, ist ihre Erfahrbarkeit imRaum. Der Besucher in Rastatt erlebt die Formen sozusagen am eigenen Leib, er kann sie durchschreiten, mitunter stellen sich ihm die Volumina in denWeg oder sie nehmen ihn auf und umfangen ihn. Einemit hölzernen Balken gebaute Hohlformfindet sich im Marstall noch an anderer Stelle: im offenen Dachstuhl.Die Arbeit von Thoma reflektiert also auf das Vorhandene und zeigt,wie sich durch Verschiebung und Verdichtung der Dachformneue Formen, neue räumliche Situationen und neue Bedeutungen ergeben können. Verschiebung und Verdichtung sind die Grundoperationen des Traumes,wo das Unbewußte die Eindrücke des Tages bearbeitet und mit demMaterial der Tagesreste eigene Geschichten baut.

Als eine ähnliche Operation kann man Matthäus Thomas Arbeit für den Marstall verstehen. Die Elemente der Wahrnehmung zum Beispiel die Form des Dachstuhls befreien sich, mutieren, verändern ihre Gestalt, vervielfachen sich, wechseln Ort und Position, kurz, sie fangen an eine eigene Geschichte zu erzählen.Diese ist nicht gleich zu deuten und nicht eindeutig zu interpretieren. Zwar hat der Künstler bewußt oder unbewußt seine Geschichte erzählt, aber der Betrachter ist frei, eigene Geschichten darin zu entdecken. Denn die Kunst ist auch in diesem Sinne frei, daß sie den Betrachter nicht auf einen einzigen Sinn verpflichtet. Das gilt um so mehr für Matthäus Thoma, der den Sinn seiner Arbeiten möglichst offen halten will. Vielleicht sind die Formen von Thoma ohne den abstrakten Expressionismus nicht denkbar, vielleicht auch nicht ohne Thomas Kenntnis von Piranesis Carceri , jenen Grafiken, in denen ein Gewirr konstruktiver Bauelemente von innen heraus zu sehen ist.Worin sich aber Thoma den gängigen kunsthistorischen Klassifikationen entzieht, dasmachtmeiner Ansicht nach gerade das Spannende seiner Arbeiten aus. Denn ThomasWerk konterkariert die bekannten Stil und Genrekategorien. Gerade die großformatigen Arbeiten ähneln der Architektur, doch gehorchen sie weder einem Gebrauchszweck noch verdanken sie sich einem vorab festgelegten Plan.

Offen und doch geschlossen, rund und doch eckig, tektonisch und doch auch plastisch, chaotisch und genauso zur Form beruhigt, so in der Schwebe belassen,widersetzen sie sich jedweden Eindeutigkeiten und bleiben virulent. Zwar lassen die spitzbögigen Hohlformen an Boote oder an gotische Seitenkapellen denken, aber in Struktur undMaterial wird diese Festlegung unterlaufen. Für den praktischen Bootsbau sind die Strukturen bei näherem Hinsehen ungeeignet und für die sakrale Architekturform sind Thomas roh-hölzerne Gebilde zu ärmlich und zu profan. Die Einbildungskraft hätte die Leerstellen erst zu füllen und Sprödigkeit zu glätten, damit zumindest die Referenz an die sakraler Architekturformen plausibel werden könnte.
Matthäus Thomas Formen appellieren also an die Einbildungskraft und geben der Phantasie,was sie als größte Lust empfindet: Spielraum.

Ronald Berg

Matthäus Thoma, Pflanzen auf fremden Planeten



Marc Wellmann


Text von Marc Wellmann, erschienen in der Publikation zur Ausstellung: Matthäus Thoma " Die Macht des Dinglichen " Skulptur Heute!" im Georg-Kolbe-Museum, Berlin, 2007

Matthäus Thoma baut aus " armen" und gefundenen Materialien " vor allem aus unbehandelten Brettern und Holzstücken " komplexe Gebilde, die den Raum durchringen und sich ihm gleichzeitig öffnen. Man assoziiert spontan das Oberflächennetz von Computergrafiken, doch holt der Künstler den Betrachter unversehens in die Realität zurück durch die physische Präsenz des harten, splitternden, genagelten und verschraubten Werkstoffes, der zu kraftgeladenen Formationen aufgetürmt ist.

Durch die Strukturen scheinen gewaltige Energien zu strömen, die Thoma in eine Form presst, welche jederzeit wieder bersten kann. Das plastische Bannen von Bewegungen vermittelt den Eindruck spontaner Hervorbringung. Tatsächlich fußen Matthäus Thomas großformatige Skulpturen auf durchdachter Kalkulation, Zeichnungen und kleineren Modellen, die er jedoch als eigenständige Arbeiten versteht. Er befindet sich dabei an einer Nahtstelle zur Architektur, deren konstruktive Prinzipien teilweise aufscheinen, wenngleich er dem Statischen und Festgemauerten dieser Kunstgattung das Transitive, Spielerische und Provisorische entgegenstellt. Das Gemachtsein der Dinge ist ein wesentlicher Aspekt seines Skulpturenbegriffes, der einem Zustand an der Grenze zwischen Form und Nicht-Mehr-Form entgegenstrebt.


© 2010 matthäus thoma, berlin